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Rache kann in Form ausgetüftelter Pläne oder offener Aggression erfolgen. In manchen Fällen kann nur die Zeit für die Verwirklichung der Rache sorgen.
Graf Dominic Vernius,
Tagebücher eines Renegaten
Wochen später auf Kaitain beobachtete Shaddam Corrino IV. das Ende der aufgezeichneten Rede des Bastards Tyros Reffa. Er konnte seinen Zorn kaum zügeln und fluchte leise.
Hinter den verschlossenen Türen des Privatbüros des Imperators wartete Cammar Pilru, dass Shaddam etwas sagte. Der ixianische Botschafter hatte die Ansprache schon viele Male gehört, aber sie erschütterte immer wieder sein Herz.
Shaddam jedoch blieb eiskalt. »Wie ich sehe, habe ich richtig gehandelt, als ich ihm vor der Hinrichtung den lästerlichen Mund verschließen ließ.«
Seit der Rückkehr in den Palast hatte der Padischah-Imperator zurückgezogen gelebt. Außerhalb der Anlage versuchten die Sardaukar die Ordnung aufrechtzuerhalten, obwohl es zu zahlreichen Demonstrationen kam. Manche Leute forderten, dass er abdankte, was eine sinnvolle Lösung gewesen wäre, wenn er einen akzeptablen männlichen Erben gehabt hätte. Doch unter diesen Umständen hatte seine dreizehnjährige Tochter Irulan zahlreiche Heiratsanträge von den Oberhäuptern mächtiger Häuser erhalten.
Shaddam hätte am liebsten alle Freier getötet ... und vielleicht auch seine Töchter. Zumindest musste er sich jetzt keine Sorgen wegen seiner Frau mehr machen.
Nach den zahlreichen militärischen Debakeln zürnten ihm nun sogar die einstmals treu ergebenen Sardaukar, und Oberbashar Zum Garon hatte eine offizielle Beschwerde eingereicht. Garons Sohn war beim Kampf um Ix gefallen, doch nach Einschätzung des Veteranen war es viel schlimmer, dass die imperialen Soldaten verraten worden waren. Nicht besiegt, sondern verraten. Für ihn war es eine bedeutsame Unterscheidung, da die Sardaukar im Verlauf ihrer langen Geschichte niemals eine Niederlage hatten einstecken müssen. Garon forderte, dass dieser potenzielle Makel offiziell aus den Akten gestrichen wurde – oder gar nicht erst aufgenommen wurde. Außerdem verlangte er eine posthume Belobigung seines Sohnes.
Shaddam wusste nicht mehr, wie er mit all diesen Problemen zurechtkommen sollte.
Unter anderen Umständen hätte er diesem armseligen ixianischen Diplomaten, der sich plötzlich viel zu wichtig nahm, nicht einen Augenblick seiner kostbaren Zeit geschenkt. Doch Botschafter Pilru verfügte nach wie vor über gute Beziehungen und hatte durch Rhomburs Triumph neuen Aufwind bekommen.
Pilru, der sich nach all den Jahren der Demütigung wieder stark fühlte, hielt Shaddam ein Dokument aus ridulianischem Kristall vor die gerümpfte Nase. »Es war äußerst bedauerlich, Herr, dass Sie nicht die Gelegenheit hatten, Tyros Reffa einer gründlichen genetischen Analyse zu unterziehen. Damit hätten Sie seine Behauptung, er sei ein Angehöriger des Hauses Corrino, widerlegen können. Viele Mitglieder des Landsraads, viele Aristokraten des ganzen Imperiums stellen diese Entscheidung infrage.«
Er zeigte Shaddam die Daten auf dem Kristalldokument, die für den Imperator zweifellos völlig unverständlich waren. Pilru war jahrzehntelang ignoriert, beleidigt und abgewimmelt worden, doch das sollte sich nun ändern. Er würde dafür sorgen, dass der Imperator dem ixianischen Volk eine Entschädigung zahlte und die Wiedereinsetzung des Hauses Vernius nicht behinderte.
»Zum Glück war ich in der Lage, Reffa in seiner Gefängniszelle Gewebeproben zu entnehmen.« Pilru lächelte. »Wie Sie sehen können, handelt es sich hier um den eindeutigen Beweis, dass Tyros Reffa in der Tat ein Sohn von Imperator Elrood IX. war. Sie haben das Todesurteil für Ihren eigenen Bruder unterzeichnet.«
»Halbbruder«, korrigierte Shaddam.
»Es wäre kein Problem für mich, diese Dokumentation und die Testergebnisse an die Mitglieder des Landsraads zu verteilen, Majestät«, sagte Botschafter Pilru und hob den ridulianischen Kristall wieder auf. »Ich fürchte nur, dass dann in kürzester Zeit das gesamte Imperium über das Schicksal Ihres Halbbruders informiert ist.«
Er hatte natürlich alle Hinweise auf die Identität der Mutter aus dem Testbericht entfernt. Niemand musste erfahren, in welcher Beziehung der Bastard zur längst verstorbenen Lady Shando Vernius stand. Rhombur wusste um das Geheimnis, und das genügte.
»Sie haben keinen Zweifel gelassen, dass Sie es mit Ihren Drohungen ernst meinen, Botschafter.« Shaddams Augen brannten wie trotzige Feuer in der Dunkelheit seiner Niederlage. »Jetzt sagen Sie mir, was Sie von mir wollen.«
* * *
Während Shaddam in seinem privaten Empfangssaal wartete, dass das Verfahren und die Debatten begannen, erlebte er nur sehr wenige vergnügliche Augenblicke. Er verstand jetzt, warum sein Vater das Bedürfnis entwickelt hatte, so viel Gewürzbier zu trinken. Selbst Graf Fenring, sein Leidensgenosse, konnte ihn nicht aufmuntern, wenn so viele politische Mühlsteine an seinem Hals hingen.
Doch ein Imperator verfügte auch über Möglichkeiten, anderen das Leben schwer zu machen.
Fenring ging neben ihm auf und ab. Er war nervös und voller ungebändigter Energie. Alle Türen bis auf den Haupteingang waren verriegelt, alle Zeugen nach draußen geschafft worden. Selbst die Wachen hatten die Anweisung erhalten, in den Gängen zu warten.
Shaddam war aufgeregt. »Sie kommen jeden Augenblick, Hasimir.«
»Es erscheint mir trotzdem etwas ... kindisch, hmmm?«
»Aber sehr befriedigend. Tu nicht, als wärst du anderer Meinung.« Er schniefte. »Außerdem gehört es zu den Privilegien eines Imperators.«
»Genieße sie, solange es noch geht«, murmelte Fenring, dann wandte er sich von Shaddams finsterer Miene ab.
Beide beobachteten die zwei Hälften der Bronzetür, die langsam von den Wachen geöffnet wurden. Soldaten der Sardaukar brachten unter lautem Quietschen, Knirschen und Scheppern eine vertraute, schrecklich aussehende Maschine herein. Verborgene Häckselmesser surrten im Innern des Monstrums, und die Schaltkreise versprühten knisternde Funken.
Vor Jahren hatten die Tleilaxu-Kläger diesen grausamen Exekutionsapparat zu Leto Atreides' Verwirkungsverfahren mitgebracht. Sie hatten gehofft, ihn damit einer Vivisektion unterziehen zu können, um seinem zerschlitzten Gewebe eine Fülle von medizinischen und genetischen Proben entnehmen zu können. Shaddam war schon immer der Überzeugung gewesen, dass die Maschine ein großes Potenzial besaß.
Fenring musterte sie und schürzte nachdenklich die Lippen. »Ein Apparat, dessen Zweck darin besteht, Schmerzen zuzufügen und Körper zu zerstückeln. Wenn du mich fragst, Shaddam, ist es eindeutig eine Maschine mit einem menschlichen Geist, hmmm-äh? Vielleicht stellt sie eine Verletzung der Richtlinien von Butlers Djihad dar.«
»Darüber kann ich nicht lachen, Hasimir.«
Hinter der Maschine kamen sechs gefangene Tleilaxu-Meister hereinmarschiert. Sie trugen keine Hemden, weil ihre Angewohnheit, Waffen im Ärmel zu verstecken, allgemein bekannt war. Es waren die Tleilaxu-Vertreter, die in den vergangenen Monaten an den imperialen Hof gekommen waren, und nach dem Scheitern des Projekts Amal hatte man sie auf Kaitain festgehalten. Shaddam hatte angeordnet, dass sie gefasst und inhaftiert wurden, bevor sie von Ajidicas Tod erfahren konnten.
Graf Fenring hegte einen tiefen Groll gegen sie, da er vermutete, dass mindestens einer von ihnen ein Gestaltwandler war, der ihn imitiert hatte, um einen falschen optimistischen Bericht über den Erfolg des künstlichen Gewürzes abzuliefern. Es war nur eine Verzögerungstaktik von Ajidica gewesen. Der Forschungsmeister hatte den Imperator lange genug hinhalten wollten, um fliehen zu können, bevor er Vergeltungsmaßnahmen zu befürchten hatte. Aber sein Plan war nicht aufgegangen.
Shaddam sah die Gefangenen überhaupt nicht als individuelle Personen, zumal die zwergenhaften Menschen sich untereinander sehr ähnlich waren. »Was ist?«, schrie er sie an. »Gehen Sie zu Ihrer Maschine! Erzählen Sie mir nicht, Sie wüssten nicht, welchem Zweck sie dient.«
Niedergeschlagen bezogen die Tleilaxu-Meister rund um die teuflische Maschine Stellung.
»Die Tleilaxu haben mir viele Probleme bereitet. Ich stehe vor der größten Krise seit Beginn meiner Herrschaft, und ich denke, Sie sollten einen Teil der Schuld auf sich nehmen.« Er blickte in ihre Gesichter. »Wählen Sie einen von Ihnen aus, damit ich sehen kann, wie diese Maschine funktioniert. Und nach der Demonstration werden die anderen sie hier an Ort und Stelle auseinander nehmen.«
Wachen traten mit Werkzeugen vor. Die grauhäutigen Männer blickten sich finster an und blieben stumm. Schließlich ging einer von ihnen zur rechteckigen Schalttafel und aktivierte die Energiequelle der Exekutionsmaschine. Das klobige Ding erwachte zum Leben und gab einen derartigen Höllenlärm von sich, dass der Imperator und die Wachen erschrocken zusammenzuckten.
Fenring nickte nur, als er erkannte, das die Wirkung dieser Maschine zu einem nicht unerheblichen Teil auf bedrohlichen Effekten beruhte. »Wie es scheint, haben sie Schwierigkeiten, jemanden zu erwählen, hmmm?«
»Wir haben uns entschieden«, gab einer der Tleilaxu bekannt. Ohne ein weiteres Wort stiegen alle sechs auf die Maschine und sprangen nacheinander in den Trichter am oberen Ende. Sie stürzten sich hinein und lieferten sich den Messern und Häckslern aus. Als letzter grausamer Scherz wurden Shaddam und Fenring mit einem Regen aus Blut und zerkleinertem Gewebe besprüht. Die Sardaukar wichen zurück.
Der Imperator spuckte und griff nach einem Mantel, um sich die Bescherung abzuwischen. Fenring wirkte gar nicht besonders angewidert, als er sich einen Fleischklumpen aus dem Auge entfernte. Die Vivisektionsmaschine rumpelte und gurgelte weiter. Die Tleilaxu hatten keinen einzigen Schrei ausgestoßen.
»Ich glaube, damit ist die Frage nach den Gestaltwandlern erledigt«, verkündete der Imperator in nicht sehr zufriedenem Tonfall.